Ranula„Schatz! Komm mal ganz schnell her und sieh dir das an!“
Die Stimme meines Angetrauten klang alarmiert, weshalb ich mich beeilte, mich wieder aus dem mollig warmen Bett zu pellen, in das ich mich gerade so gemütlich eingekuschelt hatte. Es war Winter und kalt und usselig und mein Terriermädchen und ich hatten uns schon bettfein gemacht. Sie lag bereits lang ausgestreckt unter meiner Decke, während ich mich grunzend wieder ins Wohnzimmer schleppte um mir anzusehen, was denn da so schlimm war. Mein Mann stand ratlos vor dem Sofa auf dem unser Pauli lag und ein bisschen vor sich hin sabberte. Das war ungewöhnlich für ihn. Er ist ein sehr reinlicher Hund. Es war ihm auch sichtlich peinlich, dass er die Wolldecke mit seiner Spucke durchgeweicht hatte. Wenn ich jetzt mal den Tag so reflektiere, war er schon den ganzen Tag irgendwie apathisch gewesen, hatte nur herumgelegen und kaum gefressen. Ansonsten konnte ich nichts ungewöhnliches an ihm feststellen.

Ich war auch müde und hatte jetzt keine Lust auf Drama.
„Was ist denn?“ wollte ich wissen.

„Sieh dir mal seine Zunge an!“
„Verdammt!“, dachte ich, er hatte doch wohl nicht beim Gassigehen etwa an einer von diesen verdammten Prozessionsspinner-Raupen rumgelutscht?! Es war zwar noch zu kalt, aber die ersten Raupen waren schon vereinzelt gesichtet worden. Die Biester sind mit ihren giftigen Häärchen sehr gefährlich. Besonders für Hundepfoten und -Zungen. Ich zog ihm also die Lefzen hoch und öffnete sein Maul. Seine Zunge rutschte zur Seite und gab den Blick auf eine riesige, rosa Geschwulst frei, die sich unter der Zunge gebildet hatte.
„Was ist das denn jetzt wieder?!“ Die Zunge selbst war in Ordnung, aber die Schleimhäute darunter waren auf einer Seite so dick angeschwollen, dass die Zunge kaum noch ins Maul passte. Eine Allergische Reaktion auf das Gift der Prozessionsspinner war das jedenfalls nicht. Das sieht anders aus.
„Hat er irgendwas komisches gefressen, als du mit ihm draußen warst?“ startete mein Mann die „peinliche Befragung“, denn schließlich ging es hier um seinen besten Kumpel, der da gerade ganz tapfer leise vor sich hin litt und versuchte, nicht auf der Geschwulst herum zu kauen.
„Hast du ihn laufen lassen? Wo war er überall mit seiner Schnauze?“
„Alles war wie immer!“ fuhr ich dazwischen, bevor die Befragung überhand nehmen konnte. „Vielleicht hat sich da was entzündet, weil er mal wieder das Katzenklo leer geputzt hat.“
Das hätte ich besser nicht sagen sollen, denn nun folgte eine mehrminütige Standpauke, dass besagtes Katzenklo anscheinend nicht regelmäßig genug gereinigt wurde, weshalb der Hund sich verpflichtet sah, da nachzuhelfen...
Aber alles Diskutieren hatte eh keinen Zweck, der Hund hatte ein Problem und so wurde am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe noch vor der Arbeit ein Tierarztbesuch eingeplant. Wir waren noch vor dem Tierarzt bei der Praxis. Er fragte schon von weitem, was denn los sei, als er aus seinem Auto stieg.
„Dicke Zunge“, meinte ich nur „aber nicht die Zunge selbst, sondern darunter“.
„Aha“, er hatte die Tür zur Praxis noch nicht aufgeschlossen, da hatte er schon die Diagnose gestellt: „Ranula“
„Bitte, was?“ Das Wort hatte ich noch nie gehört und stand gerade mitten auf dem Schlauch. Dabei wollte ich doch so dringend wissen, ob das was Schlimmes ist.
Wir durften direkt rein ins Behandlungszimmer und der alte Mann ging trotz seiner porösen Hüftgelenke vor unserm Pauli auf die Knie um ihm furchtlos ins Maul zu greifen. Er ist einer der sehr wenigen älteren Herren, den der Pauli leiden kann … und das obwohl er Tierarzt ist. Pauli bot ihm seine Pfote an und hielt brav still, während der Onkel Doktor den Verdacht bestätigte und uns dann auch erklärte, was denn jetzt eine „Ranula“ ist:
Wenn die Speicheldrüse unterhalb der Zunge verstopft ist, kann sich eine mit eingedicktem Speichel gefüllte Zyste bilden, die eventuell operativ entfernt werden muss. Bei Pauli war sie sehr dick. Der Tierarzt verabreichte ihm trotzdem zuerst eine von seinen Wunderspritzen und meinte dann, wenn die Geschwulst nicht von selbst wieder verschwindet, wird man sie wohl öffnen müssen. Aber operieren ist zum Glück nie seine erste Option. Pauli ließ den Pieks brav geschehen, ohne sich groß anzustellen. Er weiß zum Glück immer, wenn man ihm helfen will. Nach zwei Tagen sollte er dann nochmal nachgespritzt werden.
Zurück am heimischen Computer wurde natürlich erst mal eifrig nach dieser „Ranula“ recherchiert. Ärzte sind ja gerne mal etwas wortkarg und ich will immer alles ganz genau wissen. Im Netz wird man auch tatsächlich fündig. Allerdings machten mich die Behandlungsmöglichkeiten doch etwas stutzig. Fast überall durfte ich lesen, daß der Hund bei einer Ranula nicht um eine Operation drum herum kommt und bei unserem Pauli war das Ding nach der ersten Spritze am Abend schon bedeutend kleiner und nach der Zweiten nach kurzer Zeit, dem Himmel und unserem guten alten Onkel Doktor sei Dank, bald ganz und restlos verschwunden.
Auf diesen Umstand angesprochen, hatte unser tierlieber Tierarzt wieder dieses ganz eigene Grinsen im Gesicht und meinte nur: „Ich hab das mal studiert.“

 

Text: Nadja von der Hocht
Foto Ranula im Hundemaul: Wolfgang von der Hocht